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Die „Ich muss stark sein"-Falle: Wie uns die Angst vor Verletzlichkeit isoliert und schwächt

  • Sabrina Szutowski
  • 10. Okt.
  • 7 Min. Lesezeit

Frau sitzt einsam auf der Coach und sieht aus dem Fenster

Kennst du dieses Gefühl, wenn du morgens aufwachst und die Last des Tages schon auf deinen Schultern spürst, bevor du überhaupt die Augen geöffnet hast?

Die Präsentation. Die angespannte Stimmung zu Hause. Die Eltern, die älter werden.

Die Kinder, die mehr brauchen. Der Berg an E-Mails. Das Projekt, das aus dem Ruder läuft. Die Freundschaft, die bröckelt, weil du nie Zeit hast.


Und trotzdem ziehst du die Maske auf.

Lächelst im Zoom-Call. Sagst „Passt schon", wenn dich jemand nach deinem Wohlbefinden fragt. Du funktionierst weiter.

„Ich muss das schaffen", flüstert eine Stimme in dir. „Ich darf jetzt nicht schwach werden. Die anderen verlassen sich auf mich."


Aber was, wenn genau dieser Gedanke – „Ich muss stark sein" – dich langsam von innen aushöhlt?

Was, wenn die vermeintliche Stärke, auf die du so stolz bist, in Wahrheit zu deiner größten Last geworden ist?


Woher dieser gnadenlose Antreiber kommt


Glaubenssätze wie „Ich muss stark sein" entstehen nicht über Nacht.

Sie wurzeln tief in unserer Geschichte und werden von außen immer wieder bestätigt.


Vielleicht warst du das Kind, das „vernünftig" sein musste.

Das älteste Geschwisterkind, dem man früh sagte: „Du bist jetzt der Große."

Du hast gelernt: Wenn ich keine Last bin, wenn ich stark bin, werde ich geliebt.

Deine eigenen Tränen musstest du zurückhalten, während du die der anderen getrocknet hast.


Oder du bist in einem Umfeld aufgewachsen, in dem Emotionen als Schwäche galten.

„Ein Indianer kennt keinen Schmerz." „Heul nicht rum."

Deine Gefühle wurden nicht gehalten, sondern weggeredet.

So hast du verinnerlicht: Verletzlichkeit ist gefährlich. Stärke ist der einzige sichere Weg.


Vielleicht hast du auch die schmerzhafte Erfahrung gemacht, dass Menschen dich im Stich ließen, als du sie am dringendsten brauchtest.

Der Vater, der ging. Die Freundin, die sich abwandte, als du nicht mehr „der Fels" warst. Der Partner, der mit deinen Tränen nichts anfangen konnte.

Dein Nervensystem zog daraus eine logische, wenn auch tragische Schlussfolgerung:

Auf andere ist kein Verlass. Nur auf mich selbst.


Diese frühen Prägungen sind nur die eine Seite. Die andere ist die Gesellschaft, in der wir leben. Der Druck ist riesig:

Karriere, Familie, alternde Eltern, Beziehungen – alles das soll gleichzeitig gemeistert werden, aber bitte mit einem Lächeln.

Wir leben in einer Kultur, die Autonomie als höchstes Gut feiert:

„Du schaffst das!", „Du brauchst niemanden!" – als wäre Verbundenheit Schwäche statt die Grundlage unserer menschlichen Existenz.


So entsteht ein perfekter Sturm aus biografischer Prägung und gesellschaftlichem Druck. Kein Wunder, dass so viele von uns glauben, stark sein zu müssen sei nicht nur eine Option, sondern eine Pflicht.


Was es wirklich kostet immer stark sein zu müssen


Doch diese vermeintliche Stärke hat einen Preis. Einen Preis, den du jeden Tag zahlst, oft ohne es bewusst zu merken.


Da ist zunächst die emotionale Isolation.

Du sitzt beim Abendessen mit Freunden, lachst an den richtigen Stellen – und fühlst dich trotzdem vollkommen allein. Weil niemand sieht, wie es dir wirklich geht. Weil du es nicht zeigst.

Deine Beziehungen bleiben an der Oberfläche, gefangen im Smalltalk über Urlaub und Serien, während in dir Stürme toben. Die Menschen in deinem Leben denken, bei dir läuft alles rund – und du fühlst dich mit deinen echten Kämpfen unsichtbar.

Intimität wird schwierig, manchmal unmöglich. Denn wie soll jemand dich wirklich kennen, wenn du dich nie wirklich zeigst?


Diese emotionale Last manifestiert sich früher oder später auch körperlich.

Die Verspannungen im Nacken. Die Kopfschmerzen, die nicht weggehen. Der Schlaf, der längst nicht mehr erholsam ist. Die Erkältungen, die sich aneinanderreihen.

Du funktionierst auf Autopilot – Kaffee zum Wachwerden, Wein zum Runterkommen.

Die Erschöpfung ist so normal geworden, dass du vergessen hast, wie sich „ausgeruht" überhaupt anfühlt.


Doch der bitterste Preis liegt tiefer. Je mehr du dich zwingst, stark zu sein, desto mehr schwindet paradoxerweise dein Selbstvertrauen.

Du merkst, dass die Maske schwerer wird, dass du nicht mehr lange durchhalten kannst – und beschimpfst dich innerlich dafür: „Ich bin nicht stark genug. Andere schaffen das doch auch. Was ist bloß falsch mit mir?"

Das ständige Starkseinmüssen schafft eine ausweglose Situation: Es sagt dir „Du darfst keine Schwäche zeigen" und gleichzeitig „Die Tatsache, dass du innerlich zusammenbrichst, beweist, dass du versagst."

Du kannst dieses Spiel nicht gewinnen. Es ist ein System, das darauf ausgelegt ist, dich scheitern zu lassen.


Wahre Stärke


Stark zu sein bedeutet nicht, alles alleine zu schaffen.

Stark zu sein bedeutet, sich trauen zu können, nicht stark sein zu müssen.


Lies das noch einmal. Langsam. Lass es wirken.


Die mutigste Sache, die du heute tun kannst, ist nicht, noch eine Aufgabe mehr zu stemmen. Die mutigste Sache ist, jemandem zu sagen: „Ich brauche Hilfe."

Nicht, weil du schwach bist. Sondern weil du stark genug bist, die Wahrheit zuzulassen.

Weil du den Mut hast, echt statt perfekt zu sein.


Denk einen Moment an die Menschen in deinem Leben, die du am meisten respektierst. Sind es die Unfehlbaren, die scheinbar nie wanken?

Oder sind es die Menschen, die trotz ihrer Kämpfe authentisch bleiben, die zugeben können: „Ich komme gerade nicht klar", und dann Wege finden, weiterzugehen – nicht allein, sondern in Verbindung?


Verletzlichkeit ist der Königsweg zur echten Verbindung.

Wenn du nie fällst, kann dich niemand auffangen.

Wenn du nie zeigst, dass du kämpfst, kann niemand an deiner Seite kämpfen.

Wenn du deine Maske nie abnimmst, können Menschen dich vielleicht bewundern, aber sie können dich nicht wirklich kennen. Und das Gesehen-Werden, das echte Gekannt-Werden, ist es, wonach sich unsere Seele am meisten sehnt.


Stell dir vor, ein Mensch, den du liebst, käme zu dir und sagt: „Ich schaffe das gerade nicht alleine. Ich brauche deine Hilfe."

Würdest du ihn für schwach halten?

Nein.

Du würdest dich wahrscheinlich geehrt fühlen, dass er dir vertraut.

Du würdest für ihn da sein wollen.


Warum gestehst du dir selbst nicht dieselbe Menschlichkeit zu, die du anderen so selbstverständlich gibst?


Was es braucht, um Hilfe annehmen zu können


Um Hilfe anzunehmen, um verletzlich sein zu können, brauchst du eine besondere Art von Stärke:

Die Stärke des Vertrauens. Und dieses Vertrauen hat zwei Richtungen.


Da ist zunächst das Vertrauen in dich selbst.

Nicht das Vertrauen, dass du alles alleine schaffen kannst – das hast du bereits bewiesen, bis zur Erschöpfung.

Nein, es geht um ein tieferes Vertrauen: Dass dein Wert nicht von deiner Leistung abhängt. Dass du es wert bist, unterstützt zu werden, einfach weil du existierst. Dass du mehr bist als deine Funktionen – ein Mensch mit legitimen Bedürfnissen, der nicht perfekt sein muss, um geliebt zu werden.


Dann braucht es das Vertrauen in andere.

Das Vertrauen, dass nicht alle Menschen dich im Stich lassen, wenn du dich zeigst.

Dass es sichere Menschen gibt – auch wenn du in der Vergangenheit verletzt wurdest.

Ja, das ist riskant. Verletzlichkeit bedeutet immer das Risiko, enttäuscht zu werden.

Aber es bedeutet auch die Chance auf echte Verbindung, auf Gesehen-Werden, auf Getragen-Werden.

Ohne Risiko gibt es keine echte Beziehung. Ohne Verletzlichkeit keine Intimität.

Der Panzer, den du trägst, schützt dich vielleicht vor weiteren Verletzungen. Aber er schützt dich auch vor Verbindung, vor Nähe, vor dem Gefühl, wirklich zugehörig zu sein.


Wie du anfangen kannst, die Maske abzulegen


Veränderung geschieht nicht durch einen großen dramatischen Moment, sondern durch viele kleine Schritte.

Du musst morgen nicht dein ganzes Leben umkrempeln. Aber vielleicht kannst du heute beginnen, die Rüstung ein wenig zu lockern.


Der erste Schritt ist oft einfach, die Maske überhaupt zu erkennen.

Beobachte, wann du automatisch sagst: „Alles gut."

Wann spannen sich deine Schultern an? In welchen Momenten spürst du den inneren Druck, stark erscheinen zu müssen?

Diese Selbstbeobachtung, ohne Urteil, ist bereits ein Akt der Selbstfürsorge. Du kannst nichts verändern, was du nicht siehst.


Dann beginne zu unterscheiden zwischen „können" und „müssen".

Wenn du das nächste Mal denkst: „Ich muss das alleine schaffen", halte einen Moment inne.

Frage dich: Muss ich das wirklich? Oder habe ich mir das nur eingeredet?

Vielleicht könntest du es alleine schaffen. Aber muss es deshalb so sein? Was würdest du gewinnen, wenn du die Last teilst?


Wenn du dann bereit bist, tatsächlich Hilfe anzunehmen, beginne mit sicheren Menschen.

Nicht jeder Mensch in deinem Leben verdient deine Verletzlichkeit.

Such dir Menschen aus, die schon bewiesen haben, dass sie dich halten können.

Die Freundin, die schon oft einfach zugehört hat. Der Partner, der immer wieder gezeigt hat, dass er dich liebt, auch wenn du nicht perfekt bist.


Fang klein an.

Ein einfaches „Weißt du, mir geht's gerade echt nicht gut" kann ausreichen.

Beobachte, wie es sich anfühlt. Beobachte, wie die andere Person reagiert.

Übe dann, Hilfe konkret zu benennen: „Könntest du heute die Kinder abholen? Ich bin am Ende." Konkrete Bitten sind für andere leichter zu erfüllen und zeigen, dass du weißt, was du brauchst. Das ist keine Schwäche – das ist Selbstkenntnis.


Sei dabei darauf vorbereitet, dass ein Gefühl von Scham kommen wird.

Diese Stimme, die sagt: „Du bist schwach. Du bist eine Last. Du versagst." Das ist normal. Scham ist der Wächter der alten Muster. Sie will dich in der vertrauten Rüstung halten.

Aber Vertrautheit ist nicht dasselbe wie Gesundheit. Halte die Scham aus.

Erkenne sie, benenne sie für dich selbst – und lass sie dann da sein, ohne ihr die Kontrolle zu geben. Mit der Zeit wird sie leiser.


Eine Einladung an dich


Je öfter du diese kleinen Schritte gehst, umso mehr wirst du entdecken:

Die Welt bricht nicht zusammen, wenn du nicht stark bist.

Im Gegenteil – sie wird reicher, echter, verbundener.

Deine Verletzlichkeit gibt anderen die Erlaubnis, auch verletzlich zu sein.


Du musst nicht heute alles ändern. Aber vielleicht kannst du dir eine Frage erlauben:

Welcher kleine Schritt in Richtung „Hilfe annehmen" wäre heute für dich möglich?


Nicht der größte. Nicht der mutigste. Einfach: Was wäre möglich?

Vielleicht ist es eine ehrliche Antwort auf die Frage „Wie geht's dir?".

Vielleicht eine Nachricht: „Ich brauche gerade jemanden zum Reden."

Vielleicht die Bitte: „Kannst du heute das Abendessen machen? Ich kann nicht mehr."


Es muss nicht dramatisch sein. Es muss nur echt sein.

Die Maske darf heute ein bisschen verrutschen.

Du darfst heute ein Mensch sein, nicht nur jemand, der funktioniert.


Weil du es wert bist, getragen zu werden – nicht nur zu tragen.

 
 

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